Die ultimative Fahrrad Reparatur Story IV – Fahrrad-Archäologie am gebrochenen Rahmen
Das silberne Fahrrad steht wieder fest auf denen eigenen zwei Reifen und fährt wie geschmiert.
Im Keller steht nun nur noch das rote Rad, dem ich jetzt endlich meine volle Aufmerksamkeit widmen kann. Und die hat es auch bitter nötig, denn ein Abbruch des Projektes kam zu keinen Zeitpunkt in Frage.
Hier noch einmal die Bruchstelle des Rahmens von oben.
An den Lack-Kratzern in Fahrtrichtung kann man bereits weiteres Unheil erahnen. Dadurch, dass der Bruch zumindest eine kurze Zeit unbemerkt geblieben ist, haben sich die Bruchstücke ordentlich gegeneinander verschoben. Das Ergebnis sind eben nicht nur die relativ unbedeutenden Kratzer im Lack, sondern auch eine ordentliche Verformung der Bruchstelle.
Ok, ich geb’s zu: Das haben wir alles schon viel schlimmer gesehen. Der Dremels wird’s schon richten.
Mit der Fiberglass-Trennscheibe wurden die Teile wieder perfekt aufeinander abgestimmt während die rotierende Drahtbürste im zweiten Gang den Lack großflächig entfernt. Schließlich soll mein Schweißer-Meister eine ordentlich blanke Stelle vorfinden.
Als gelernter E-Techniker darf ein letzter Check nicht fehlen. Erst die finale Messung mit dem Multimeter bringt Klarheit: Hier kann der Strom des Schweißgerätes später wunderbar niederohmig fließen. Leider besitze ich selbst kein eigenes Schweißgerät, so dass ich hier auf die Hilfe eines örtlichen Fahrrad-Gurus aus München angewiesen war. Ein Glück passt so ein zerlegtes Fahrrad wunderbar in den Kofferraum.
Der Schweißer schlug zwar selbst die Hände über den Kopf zusammen und behauptete, noch niemals so etwas gesehen zu haben.
Aber auch er war der Meinung, dass man hier nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen sollte und stattdessen eine schöne Schweißnaht drüber zu brutzeln sollte. Recht hat der Mann.
Über die Ästhetik der Schweißnaht darf an dieser Stelle gerne gestritten werden. Zur Verteidigung des Meisters muss ich aber anbringen, dass diese Stelle wirklich verdammt schwer zu erreichen war und ich wahrscheinlich auch nur einzelnen gepunktet hätte und niemals eine durchgehende Schweißraupe gezogen hätte. Bei allem Sinn für Schönheit darf das naheliegende Tretlager mit seinem Gewinde nicht vergessen werden. Wenn sich hier etwas durch zu große Hitze verzieht (und ein Schweißvorgang bringt immer einen Verzug mit sich mit), wäre die ganze Reparatur gescheitert und der Rahmen ein Fall für den Metallschrott.
Bevor ich nun anfing das Fahrrad wieder zu verschönern und zu komplettieren, verharrte ich einen Augenblick und begab mich auf Spurensuche nach dem Grund für einen solchen Rahmenbruch.
Denn bevor ihr jetzt Angst um euren Drahtesel bekommt: Normalerweise sollte gerade ein Fahrrad-Rahmen niemals an einer solchen Stelle brechen. Ungeachtet der wahnsinnigen Kräfte, die an dieser Stelle wirken. Natürlich könnte ich die Schuld allein auf einen unentdeckten Fertigungsmangel in der sündhaft-teuren, italienischen Metallarbeit schieben. Doch ein solcher Defekt tritt normalerweise nur durch eine massive Gewalteinwirkung ein. Und mein Vater versicherte mir glaubhaft, niemals damit Offroad über Hügelkuppen gesprungen zu sein. Die erste Sache, die mich auf meiner Suche stutzig werden ließ, war die fest gegammelte Sattelstütze.
Bereits bei der anfänglichen Demontage vor einigen Tagen machte mir mein Dad via E-Mail keine Hoffnungen, die Sattelstütze aus dem Sattelrohr zu bekommen. Tatsächlich ließ sie sich auch nach einer einwöchigen Behandlung mit WD-40 keinen Millimeter bewegen und auch mein Vater bestätigte mir, dass zwei Fahrradwerkstätten mit allen Mitteln versucht hätten die Stange zu entfernen und dabei kläglich gescheitert wären.
Moment! Mit allen Mitteln?! Gehen wir kurz auf Spurensuche…
Bingo!
Unterhalb des (auf diesem Foto bereits demontierten) Sattels fand ich verdächtige Abdrücke der Backen eines Schraubstockes. Meine Theorie ist, dass einer der beiden Fahrradschrauber genau diese Sattelstange einspannte und dann durch Drehen des Rahmens versuchte die Verbindung zu lösen. Quasi Sattelausbau mit umgedrehten Vorzeichen. Die Idee dabei ist gar nicht so verkehrt: Ein Rahmen ist wesentlich größer als ein Sattel, ergo erreicht man ein höheres Drehmoment. Da die Sattelstütze jedoch wie festbetoniert an ihrem Platz bliebt, könnte etwas anderes nachgegeben haben: Die in Verlängerung nach unten liegende Sattelstange am Tretlager.
Das Ergebnis dieser missglückten Aktion könnte theoretisch nur ein winziger Haarriss gewesen sein, der durch die Tretbewegungen in Verbindung mit einer schwachen Schweißnaht an dieser Stelle irgendwann zum kompletten Durchbruch führte.
Ungeachtet der Theorie verlangte es schon meine persönliche Ehre, das zu schaffen, woran andere scheiterten. Die Sattelstütze musste weg. Herr Dremel, darf ich bitten?
Das Durchschneiden dieser Alustange kann sehr verhängnisvoll sein. Wer an diesen Punkt gekommen ist, muss die Sache durchziehen. Und zwar ohne wenn und aber, sonst ist der Rahmen inklusive festsitzendem Stummel mal wieder unbrauchbar. Bis zu diesem Punkt macht die Sache sogar noch richtig Spaß.
Was nun folgt ist stundenlange Fleißarbeit. Zuerst vergewisserte ich mich, dass der übrigbleibende Stummel kürzer, war als meine erst kürzlich erworbenen Bügelsägen-Sägeblätter. ca. 20cm Restrohr vs. 30cm Säge – Passt. Aus einem alten Metallwinkel und ein paar Schrauben bastelte ich mir schnell den passenden Griff, damit ich das Sägeblatt auch später gut im Inneren der Stange führen konnte.
Während der Säge-Aktion hätte theoretisch jederzeit die Möglichkeit bestanden, dass sich die Stange spontan löst und plötzlich ins Rohr hinein fällt. Um das zu verhindern, jagte ich an einer Seite eine alte Schraube in Alu, während sich mein Sägeblatt millimeterweise von Innen nach Außen durch das Metall fraß. Was hier in wenigen Bildern gezeigt wird, dauerte in Wirklichkeit ganze zwei Tage.
Doch irgendwann war der heroische Moment gekommen und die Trümmerstücke ließen sich bewegen.
Das folgende Bild zeigt (trotz leichter Unschärfe) das komplette Ausmaß der gewollten Zerstörung. Gut zu sehen ist der gesägte Schlitz, ohne den die Stütze heute noch immer am gleichen Ort sitzen würde. Den brauen Schmodder kann ich hingegen gar nicht richtig zuordnen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine ziemlich ungenießbare Mischung aus Kriechöl, Schleifstaub und den Überresten der Kontaktkorrosion zwischen Alu und Stahl.
Um das Sattelrohr von innen zu säubern, wischte ich die zersägte Stütze sauber, sprühte sie mit Öl ein, steckte sie dann wieder zurück ins Rohr und wiederholte den Vorgang dann ein paar Mal. Angenehmer Nebeneffekt: Nach mehreren dieser Aktionen wurde auf einmal die Beschriftung unterhalb der Korrosion wieder gut lesbar.
⌀26,8? Genau diese Information hatte mir noch gefehlt!
Beim Neukauf von Sattelstützen muss man zwangsläufig den richtigen Durchmesser angeben. Und zum Leidwesen aller hobbymäßigen Schrauber hat sich hier kein wirklich Standard etabliert. Zwar gibt es eine sehr große Menge an Fahrräder, die einen Durchmesser um die 27,2mm benötigen. Aber die letztendliche Sicherheit bringt nur Messung mit einem genauen Messschieber oder eine solche Angabe auf dem ehemals verbauten Teil. Mit diesen Angabe ließ sich das Neuteil schnell und unkompliziert ordern.
Ich würde sagen: Die Talsohle ist durchschritten. Ab jetzt wird das Fahrrad wieder zusammengebaut.
Unglaublich wie viel Arbeit Du investiert hast um mein schönes Radl wieder flott zu bekommen. Ich bin so glücklich und ich kann es kaum erwarten wieder fahren zu können. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte ich mir von Dir nicht wünschen können.
@Dad: Aber immer doch! Ein Ingenieur muss einfach Dinge zerlegen, reparieren und wieder zusammen bauen. Das ist eine ganz natürliche Handlung!
LG Phil