Nähere Details zum angeblichen “Beinahe Crash eines Ryanair-Flugzeugs in Memmingen”
Update: Die Bildzeitung spricht nun sogar schon von einem “neuen Flugmanöver” (Quelle: BILD) als Auslöser für den Vorfall. Von wem haben die das denn?
Die aktuellen Schlagzeilen in den Medien lassen mir keine andere Wahl als einen kleinen Artikel zu verfassen, der etwas Licht in die Geschehnisse des Ryanair-Fluges von Manchester nach Memmingen bringt. Dieser Flug geistert aktuell in vielen Zeitschriften als “Ryanair Sturzflug über Deutschland” (Quelle: stern.de) oder unter dem Schlagwort “Ryanair-Maschine entging nur knapp dem Absturz” (Quelle: Spiegel Online). In diesen Artikeln wird in knappen Worten von einer hohen Sinkrate eines Ryanair-Flugzeuges am 23.09.2012 im Anflug auf den Flughafen Memmingen berichtet.
Garniert wird das Ganze mit einem sehr reißerischen Titel und einem Hinweis auf angeblich hohe Sicherheitsmängel der Airline. In meinen Augen ist das mehr Stimmungsmache als qualitativer Journalismus.
In diesem Artikel möchte ich mich nicht an dem üblichen Ryanair-Bashing beteiligen, sondern stattdessen eine Zusammenfassung der Ereignisse liefen, die sich im Bericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, kurz BFU, nachlesen lassen. Wer den Ablauf des Vorfalls in voller Länge nachlesen möchte, findet dies auf den Seiten 65-75 des aktuellen Bulletins.
Chronologischer Ablauf der Ereignisse des Ryanair-Fluges von Manchester nach Memmingen
– Eine Ryanair Boeing 737-800 hebt am 23.09.2012 in Manchester zu einem Flug nach Memmingen ab. Aus nicht näher bekannten Gründen startet die Maschine mit einer Verspätung von 25-30 Minuten.
– In Memmingen ist zur Zeit die “06”-Landebahn geöffnet. Dies bedeutet, dass auf der einzigen Landebahn von Westen her gelandet wird. Diese Entscheidung trifft der Flughafen entsprechend des aktuellen Windes, der zur Zeit in Memmingen aus der Richtung 060 mit 8 Knoten weht. Es ist gängige Praxis, dass immer gegen den Wind gestartet und auch gegen den Wind gelandet wird.
– Um die Verspätung zu kompensieren fragt der Pilot beim Fluglotsen an, ob er auch auf der “24”er Landebahn landen könne. Dies bedeutet, dass er von Osten her kommend mit Rückenwind landen will.
Bei einer Landung auf der “24” kann der Pilot direkt zum Terminal rollen, bei einer Landung auf der “06” müsste er zuerst die komplette Landebahnlänge entlang fahren, am Ende um 180° umdrehen und dann auf dem Rückweg das Terminal ansteuern.
Hinweis: Laut Informationen, die ich im Pilotenforum PPRUNE.org (LINK) gefunden habe, ist eine Landung bis 10 Knoten Rückenwind mit diesem Flugzeug vertretbar. Eine offizielle Bestätigung von Boeing, bis zu welcher Windstärke eine Boeing 737-800 zur Tailwind-Landing zugelassen ist, habe ich noch nicht gefunden.
– Der Lotse stimmt der Landung auf der “24” zu.
Der Pilot erwartet nun “Vektoren”. Dies sind Anweisungen über Funk, in welche Richtung er fliegen und auf welche Höhe er sinken soll.
Der Lotse hingegen geht davon aus, dass der Pilot eine sog. “Prozedur” abfliegen wird. Also eine vorher in Karten festgelegte Trajektorie, die ihn bis zur Landebahnschwelle führt.
Erst beim nächsten Funkkontakt merkt der Pilot, dass er und der Lotse sich wahrscheinlich missverstanden haben. Der Pilot hatte daher völlig vergeblich auf seine Vektoren gewartet.
– Ab diesem Moment erfolgt ein wenig Spekulation, die ich aber hoffentlich gut begründen kann.
Der Pilot merkt nun, dass er wahrscheinlich schon lange hätte sinken müssen. Er ist nun wahrscheinlich zu hoch und eventuell auch an der falschen Position, als dass er den korrekten Flugpfad wieder einfangen könnte.
Obwohl die Landebahn “24” mit einem Instrumentenlandesystem (ILS Cat I) ausgerüstet ist, fragte er den Lotsen nach der Freigabe für einen “Visual Approach”, die er auch erhält. Der Pilot ist sich demnach nun wahrscheinlich im Klaren, dass er den Gleitpfad des Instrumentenlandesystem nicht mehr einfangen kann, und versuchte den Flieger nun auf Sicht zu laden.
Im Klartext: Er versucht die Maschine irgendwie nach unten zu drücken und trotz des vermurksten Anflugs noch zu landen.
– Beim Sinken kommt es nun zum dem in den Medien erwähnten Vorfall: Beim Versuch das Flugzeug schnell sinken zu lassen verschätzt sich der Pilot bei der Sinkrate oder berücksichtigt vielleicht die Rückenwindkomponente von 8 Knoten zu wenig und nähert sich dem Boden zu schnell. Für einen solchen Fall ist das Flugzeug mit einem Enhanced Ground Proximity Warning System, kurz EGPWS ausgerüstet. Dieses schlägt bei zu starker Annäherung an den Boden Alarm und fordert den Piloten durch akustische Warnung den Sinkflug zu beenden.
Weiterführende Links:
Beispielgeräusche des EGPWS: http://www.youtube.com/watch?v=1y-GaAuTEvo
Funktionsweise des EGPWS: http://www.youtube.com/watch?v=TUZbOoQrlXQ
– Nach dieser akustischen Warnung bemerkt der Pilot, dass sein wahrscheinlicher Plan nicht funktionieren wird. Das Flugzeug befindet sich in einer Lage, aus der er eine Landekonfiguration nicht mehr herstellen kann. Deswegen entscheidet sich der Pilot zum Durchstarten und landet das Flugzeug beim zweiten Versuch.
Ganz wichtiger Hinweis: Dies ist meine Interpretation und Schilderung des Vorfalls. Jeder der aufgrund dieser Erklärung oder anderen Zeitungsmeldungen persönliche Schlüsse ziehen möchte, sollte sich unbedingt das Bulletin der BFU durchlesen. Dort werden dem Vorfall nicht umsonst 10 Seiten inkl. Kartenmaterial gewidmet.
Dennoch ist es Fakt, dass die BFU die Geschehnisse als “Schwere Störung” eingestuft hat. Fakt ist aber auch, dass ein Durchstarten eines Flugzeugs alleine noch nicht als Zwischenfall gewertet wird. Es gilt als ein möglicher Abschluss des Landeanfluges neben der erfolgreichen Landung.
Durch diese Definition wird zum Beispiel auch sicher gestellt, dass der Pilot sich im Falle eines Fehlanfluges zu einem Durchstarten als “sichere Option” entscheidet und eben nicht aus falschem Stolz oder Angst vor negativen Auswirkungen oder schlechter Publicity irgendwie noch eine Landung erzwingen möchte.
Mich stört viel weniger die Berichterstattung von Blöd-Zeitung, Spiegel und Co. zu dem oben geschilderten Zwischenfall. Was mich vielmehr stört, dass keine der o.g. Medien darüber berichtet, dass Ryanair offensichtlich versucht hatte, dem allseits respektierten Fachportal über juristischem Wege einen Maulkorb zu verpassen. Über diesen unglaublichen versuchten Eingriff in die Preissefreiheit hatte keiner diese “Qualitätsmedien” berichtet, sondern nur Fachportale, wie z.B. Aero.de
Jop, das stimmt.
Manche Firmen sollten ihre Einstellung gegenüber freien Meinungsäußerung im Internet überdenken. Allerdings blicke ich in dieser AVH-Geschichte mittlerweile überhaupt nicht mehr durch. Zuerst ging es wohl nur um den Artikel, dann auf einmal doch eher um die Kommentare.
Dabei ist es doch so einfach: Fliegen, Welt sehen, Spaß haben :)