Reisebericht Serbien Tag 2: City Tour Belgrad
Der Blick auf die Wetter-App hatte bereits am Vortrag nichts Gutes versprochen. Leider strengte sich auch Petrus nicht sonderlich an, um den digitalen Wetterfrosch Lügen zu strafen, so dass ich am nächsten Morgen aus unserem Hotel in Belgrad nicht nur einen grauen Himmeln sondern auch noch jede Menge Regen erblickte. Keine guten Voraussetzungen für blogbare Fotos. Ein Glück standen heute hauptsächlich indoor-Aktivitäten auf dem Plan.
Während ich noch leicht betrübt in den Himmel blickte und mir ein spontanes Aufreißen der Wolkendecke herbei sehnte, hatte wenigstens einer richtig Spaß: Der Busfahrer unseres Tour-Guides gab an, mit seinen geliebtem Bus fast das gleiche Baujahr zu teilen. Seit über 40 Jahren pilotierte er diesen Bus bereits durch die Walachei: Zuerst im Dienst auf der Langstrecke und nun als dienstältester Sightseeing-Bus in der Belgrader Innenstadt.
Erste Station der ruppigen Busfahrt, bei der das Gefährt mit Müh und Not die 30km/h erreichte, war das Königliche Schloss auf dem Dedinje (Краљевски двор). Erbaut wurde es zwischen den Jahren 1921 und 1929 als Residenz für den jugoslawischen König Alexander I. Dank des mittlerweile wahnsinnig starken Regens waren hier auch Außenaufnahmen ein Ding der Unmöglichkeit.
Deswegen gibt es nur einen Blick auf das königliche Schwimmbad vor dem Eingang, welches trotz des Wolkenbruchs komplett wasserfrei blieb. Die benachbarte amerikanische Botschaft hatte um ein Trockenlegen des royalen Swimmingspools gebeten, nachdem durch Undichtigkeit die Kelleranlagen der Botschaft geflutet worden waren.
Bevor man wegen der recht pompösen Innenausstattung in kitschige Superlative abdriftet, sollte man bedenken, dass dieses Schloss vor allem den beiden nicht ganz unumstrittenen Persönlichkeiten Josip Broz Tito sowie auch Slobodan Milošević als repräsentative Residenz diente. Besonders während des Kosovo-Krieges wurden hier auch die Verhandlungen mit Joschka Fischer oder Madeleine Albright abgehalten.
Seit 2000 befindet sich der Palast wieder im Besitz der königlichen Familie aus dem Haus Karađorđević (Карађорђевићи), die allerdings aufgrund der Staatsform Serbiens als Republik keine wirkliche Bedeutung mehr hat. Nachdem Alexander I. im Jahr 1934 in Marseille einem Attentat zum Opfer fiel, bestieg sein Sohn Peter II. den Thron, floh aber im 2. Weltkrieg ins Exil und wanderte – nach kurzer Rückkehrhoffnung im Jahr 1945 – in die USA aus, wo er 1970 starb.
Aus diesem Grund wäre der aktuelle Thronprätendent auf den Königsposten Peters Sohn Alexander II., der sich mittlerweile im stolzen Alter von 70 Jahren als rechtmäßiger König von Serbien sieht.
Dass auch autoritäre Regenten einen gewissen Drang nach Unterhaltung haben, beweist das Kellergeschoss des Schlosses. Hier ließ Josip Broz Tito einen Kinosaal anbauen, in dem er sich am liebsten Westernfilme anschaute.
Und damit wären wir bereits bei der unkritisch umjubeltsten Persönlichkeit der Reise angekommen. Das sog. Haus der Blumen (Кућа цвећа) sollte ursprünglich als Belgrader Residenz für Tito dienen, und ist heute das Mausoleum für den 1980 verstorbenen “Alleinherrscher”. An dieser Stelle bemühe ich mich, den Blogbeitrag nicht zu einer Geschichtsstunde verkommen zu lassen. Wer auf Anhieb mit dem Namen Tito überhaupt nichts anfangen kann, sollte sich vielleicht kurz durch den entsprechenden Wikipedia-Artikel wälzen.
Wie man sehr gut an den Fotos sieht, gaben sich unsere Guides voll uns ganz dem Tito-Kult hin, ohne das Lebenswerk des Mannes überhaupt zu hinterfragen. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass Tito garantiert nicht im Sinne der Schwarz-Weiß-Malerei in die Kategorie “gut” oder “böse” eingeordnet werden kann. Faktisch wurde er jedoch in das Amt des Staatspräsidenten gewählt, das er ab 1963 auf Lebenszeit inne hatte. Schon alleine dieser Fakt dürfte erklären, warum ich die Sache mehr als skeptisch sehe.
Zwar bot er als als Oberhaupt eines “blockfreien Staates” der Sowjetunion die Stirn und kritisierte den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die ČSSR im Jahr 1968. Dennoch gab es auch um ihn einen Personenkult ähnlich dem von Stalin, was sich ebenfalls in einem sehr autoritären Regierungsstil äußerte. Als Beispiel sei eine Formulierung in der Verfassung genannt, die vorsah, dass Tito niemandem gegenüber politisch oder rechtlich verantwortlich war.
Auf der anderen Seite muss ich meine Worte relativeren. Gerade in meinen Sightseeing-Posts berichte ich oft genug über kirchliche Gebäude, ohne auch hier das jahrhundertelange Wirken einiger religiöser Institute zu hinterfragen. Dennoch bin ich der Meinung durch kritische Einwände den einen oder anderen von euch Lesern zur weiteren Recherche zu bewegen. Schließlich soll es in Reiseberichten ja nicht nur um “schöne Bauwerke” sondern eben auch um die Geschichte dahinter gehen.
Kommen wir als nächstes zum Dom des Heiligen Sava (Храм светог Саве). Das nächste Foto stammt übrigens bereits vom nächsten Tag, an dem das Wetter tatsächlich wesentlich besser war, so dass ich euch kein verregnetes Bild zeigen muss.
Wer mit der Geschwindigkeit des Baus des Berliners Flughafen unzufrieden ist, sollte sich lieber nicht mit der Bauzeit dieser monumentalen serbisch-orthodoxen Kirche befassen. Die ersten Bauarbeiten stammen aus dem Jahr 1935, mussten jedoch während des Zweiten Weltkrieges gestoppt werden. Erst 1985 (und somit fünf Jahre nach dem Tod von Tito) wurde die Wiederaufnahme von der Sozialistischen Regierung genehmigt, die sich bis heute hinziehen. So sieht nämlich die Kirche von innen aus.
Obwohl das Jahr 2010 als Fertigstellungsdatum anvisiert wurde, kann man die Kirche von innen – vor allem wegen der konsequenten Beton-Bauweise – als Rohbau bezeichnen. In der nachträglich angebauten unterirdischen Krypta sieht die Sache schon etwas besser aus. Hier ist man fleissig dabei, jeden Quadratzentimeter der Wände zu bemalen. Auch mal sehr interessant zu sehen, wie eine solche Wandmalerei entsteht.
Fazit: Belgrad bei Regen? Interessant! Ich kann jedem Besucher der Stadt allerdings nur dringend raten, sich vorher ein wenig mit der Geschichte von Serbien und auch der von Jugoslawien an sich zu beschäftigen. Gerade für gewisse Kultstätten braucht man aus meiner Sicht einen gewissen geohistorischen Background. Zwar findet man überall beschriftete Tafeln, die allerdings gerade im Haus der Blumen mir persönlich zu sehr in die Schilderung von kleinen Details abdrifteten, statt das große politische Bild zu zeigen. Aber Dank Wikipedia & Co sollte eine solche Vorbereitung ja prinzipiell kein Problem darstellen.
Im nächsten Bericht widmen wir uns dann der Stadt und ihrer Architektur selber. Denn tatsächlich hatte Petrus einen guten Tag und schickte mir die Sonne nach Belgrad. An diesem Abend ging’s aber erst einmal wieder zurück in und Hotel in Belgrad Radisson Blu Old Mill.
Weitere Belgrad-Reiseberichte
- Tag 1: Hinflug & Einchecken im Radisson Blu Old Mill Belgrad
- Tag 2: City Tour Belgrad
- Tag 3.1: Belgrad Sightseeing (Teil 1)
- Tag 3.2: Belgrad Sightseeing (Teil 2)
- Tag 4: Heimflug mit der Lufthansa von Belgrad nach München
Hi Phil,
muß gestehen, daß ich mir anhand der Eindrücke aus dem Schloss Dedinje gut vorstellen kann, wie damals dort die Herren Tito bzw. Milosevic dort
residiert haben.
Das “Haus der Blumen” sieht für mich nun gar nicht aus wie die Residenz eines ehemaligen Staatchefs. Die 4 Mädels in den Uniformen dürften damals wohl noch nicht gelebt haben, deshalb frage ich mich was die Show zu bedeuten hat.
Der Dom des Heiligen Sawa ist wirklich ein sehr schönes Gebäude. War Fotografieren drinnen problemlos möglich? Mein Kumpel hätte in einer Kathedrale in Sofia beinahe mal Theater mit einem Kirchendiener bekommen.
Der Blick in die Kuppeln könnte beim ersten Hinschauen auch in einer Moschee sein. Faszinierend!!!
Freue mich auf den nächsten Bericht.
LG Stefan
Die vier Mädels waren glaubich selbst nicht ganz so sicher, was sie da eigentlich tun bzw. zu tun haben. Grundsätzlich hatte es eher den Anschein einer Show, als wirkliches beschäftigen mit der Geschichte. Man stelle sich eine solche Show mal in Deutschland vor.
Das Fotografieren (und auch Filmen) war absolut problemlos möglich. Allerdings habe ich auch drauf geachtet niemanden zu stören. Auch das Stativ wurde nicht bemängelt.
LG Phil
Der kommerziele Kram interessiert koa Gams net!
Kommentar vom Admin: Jeder darf Kommentare schreiben, auch gerne mit Pseudonym.
Das Annehmen des Namens eines anderen Kommentators wird jedoch nicht toleriert.
Kommerzielle Kram? Nunja, die Vermarktung des “Erbes” von Tito wäre aus meiner Sicht durchaus in Ordnung. Allerdings wäre mir eine differenzierte Darstellung der Vergangenheit deutlich lieber als ein absolut unkritisch dargestelltes Mausoleum. Man stelle sich einmal vor, man würde so ein Dineyland für andere Despoten veranstalten.
LG Phil