Der digitale Schlagabtausch zwischen den 51 Tatort-Drehbuchautoren und dem Chaos Computer Club
Ich war ein wenig überrascht, als ich von einem offenen Brief der 51 Tatort-Autoren hörte, der mit den Worten “Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!” begann. Zuerst wunderte ich mich stark, wieso man für eine Krimi-Serie im ÖR-Fernsehen, die seit gefühlten 100 Jahren mit der brachialen Gewalt eines Dinosauriers über den Sender stampft, ganze 51 (in Worten einundfünfzig!) Drehbuchautoren braucht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso man diese Manpower für mehr oder weniger simple Wer-war-der-Mörder-und-wo-ist-der-Typ-der-als-nächstes-umgebracht-wird-Stories benötigt.
Übersehen wir einmal dieses Luxus-Problems und kommen zum nächsten Teil des Briefes: Wieso wird “die Netzgemeinde” (was oder wer auch immer das sein soll) in einen Topf mit politischen Parteien geworfen? Bin ich als Autor eines Blogs, der definitionsgemäß im Internet liegt, automatisch ausgeschlossen von politischen Mainstream-Parteien? Oder bedeutet dies im Umkehrsschluss, dass Parteien wie SPD, CDU, CSU bzw. FDP erst gar nicht über, oder sagen wir, für das Internet erreichbar sind?
Sehr seltsam, aber wenn 51 Drehbuchautoren den digitalen Füller schwingen, dann muss das ja ein Grund haben.
Der Inhalt dieses Briefes lässt sich mit einem großen Aufschrei zusammenfassen: Das Internet ist böse, bringt den ehrlich arbeitenden Künstler um seine Einkünfte, da die Adressaten (wir erinnern uns: manche Parteien und “die Netzgemeinde”) Musik, Software, Kunst, Filme und quasi alles drumherum umsonst und frei Haus geliefert haben wollen. Es fällt nicht schwer diesen Brief mit dem erst kürzlichen Scheitern des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) in Deutschland in Verbindung zu bringen. Und die Schuldigen daran bekommen jetzt Post von den Schreiberlingen.
Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten, denn eine Gruppe von “51 Hackern des Chaos Computer Clubs” (so sagt es jedenfalls der Titel) hat eine offene Antwort auf den Brief geschrieben und sich auf die Diskussion eingelassen. Auch wenn es etwas viel Text ist und ich in letzter Zeit oft irgendwelche Sachen zum Lesen empfehle, so lohnt sich die Lektüre dieser Zeilen trotzdem.
Ich stimme zum Beispiel dem Antwortschreiben vollkommen zu, dass es in der heutigen Welt keine Unterscheidung zwischen Produzenten, Erschaffern, Künstler und dem Konsumenten, Leser bzw. “Ansehern” geben kann: Ich zum Beispiel kaufe mir einen Reiseführer und lese mir diesen gut durch und plane einen Städtetrip. Als nächstes konsumiere ich die Gebrauchsanweisung meiner Kamera, um vor Ort im Urlaub ein wenig zu fotografieren und zu filmen. Für die Bearbeitung benutze ich gekaufte Software, besorge kostenlose und lizenzfreie oder auch kostenpflichtige Hintergrundmusik und erstelle damit ein Video und einen Reisebericht, die ich beide auf einem Blog zur Verfügung stelle.
Bin ich nun Konsument oder Produzent? Habe ich nun andere Werke benutzt oder Neue erschaffen? Eben, es gibt keinen Unterschied mehr. Dieses Zeiten sind vorbei.
Aus diesem Grund kann ich die Einteilung der Drehbuchautoren nicht nachvollziehen – Es gibt keinen Schuldigen und keinen Leidtragenden. Es gibt nicht den Künstler, der nicht gleichzeitig auch Zugang zur Kunst genießt. Genauso wenig darf man die Welt in zwei Gruppen einteilen: Die, die Kunst erschaffen und dafür entlohnt werden müssen und die anderen: Die sich Sachen anschauen und dafür nur zahlen sollen.
Nur um eine Sache gleich herauszustellen: Ich bin absolut gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet! Ich selber achte penibel darauf, nur Inhalte zu benutzen, deren Nutzung mir unentgeltlich oder auch entgeltlich gestattet ist. Jeder, der sich illegalen Inhalt aus dem Internet zieht, tut etwas Falsches und schadet irgendwo irgendjemanden. Aus meiner Sicht gibt es keine Entschuldigung, wie etwa eine mysteriöse “Content-Mafia” oder sonstige Verschwörungstheorien, die es rechtfertigt sich geschütztes digitales, geistiges Eigentum zu beschaffen.
Trotzdem zeigt der Brief der Tatort-Drehbuchautoren eine für mich sehr bizarre Einstellung: Er suggeriert, dass derjenige der künstlerisch tätig ist sofort ein Anrecht auf Entlohnung hat. Dies kann in einer modernen Welt nicht funktionieren. Auch ich kann nicht aufgrund meiner Reisevideos sofort einen Geldregen erwarten. Jeder Mensch ist frei zu entscheiden, ob, wie und vor allem welche Kunst er konsumieren möchte. So zum Beispiel auch für den Tatort. Es darf nicht zu einem Automatismus kommen, der in Sammelklagen gegen Youtube und/oder einzelne Blogger dazu führt, dass jeder zu pauschalen Abgaben verdonnert wird. Die Kunst ist genau wie viele Dinge ein Geben und Nehmen – wer sich nur auf die “Nehmen”-Seite versteift, der lebt in der Vergangenheit.
Der absolute Abschuss ist aus meiner Sicht aber folgende Passage im Brief der Autoren:
Die [Kulturpolitiker] können ihnen den Zusammenhang von Kunst/Kultur und materieller Absicherung sicher erläutern, ihnen klar machen, dass die nachhaltige Produktion qualitativ hochwertiger Kunst und Kultur nicht amateurhaft, also wie Wikipedia organisiert werden kann.
Hier wird die Polemik doch sehr deutlich. Die Wikipedia dürfte eines der größten Beispiele sein, wie eine frei zugängliche Wissensdatenbank die Welt revolutionieren kann. Eine Enzyklopädie, die aufgrund des kostenlosen Zugangs jeder belieben Schicht dieser Welt zugänglich ist und sich dennoch durch (Geld- und Wissens-)Spenden und ehrenamtliche Tätigkeit (eben weil sie für viele einen hohen Wert hat) mehr als nur über Wasser halten kann. Wenn die Message der 51 Tatort-Autoren die Abkehr von einer Welt mit Wikipedia, Jamendo, und Youtube bedeutet, dann möchte ich an dieser Stelle liebend gern auf den Tatort verzichten.
[Ironie]
Willkommen in Deutschland…
Also ich plädiere ja dafür: In Zukunft sollte jeder mindestens drei Formulare für seine erstellten Werke ausstellen, um sein Einkommen sicherzustellen wenn jemand es denn tatsächlich wagen sollte einen Film o.ä. zu konsumieren und hohe Vertragsstrafen anzusetzen wenn nicht. Das wäre doch mal toll.
…
[/Ironie]