Die ultimative Fahrrad Reparatur Story I – Das verflixte Tretlager
Aufgrund meiner vielen Lobeshymnen über öffentliche Fahrradverleih-Systeme wie velib’ in Paris, valenbisi in Valencia oder Villo! in Brüssel sollte euch sicher mein besonderes Faible für Fahrräder bekannt sein. Auch wenn ich eigentlich viel zu oft mit dem Auto unterwegs bin, ist doch das Fahrrad für mich der Inbegriff vom „richtigen Fortbewegungsmittel“: Mit etwa 15km/h ist man mindestens dreimal so schnell wie ein Fußgänger und man bekommt im Gegensatz zum Auto überall einen kostenlosen Parkplatz. Und auf den Aspekt der Umweltfreundlichkeit muss ich an dieser Stelle gar nicht eingehen. Bei einem Verbrauch von 0L/100km versteht sich das von selbst.
Aber auch Fahrräder haben den großen Nachteil des Verschleißes. Zwar muss man hier keine Unsummen wie bei einem Auto berappen, allerdings können platte Reifen oder schlechtgehende Schaltungen richtig nerven. Und da auch ich nicht von solchen Defekten verschont bleibe, gibt’s jetzt eine kleine Serie in meinem Blog: Die ultimative Fahrrad Reparatur Story. Und ihr werdet gleich sehen, dass es um viel mehr als nur das Aufpumpen eines Reifen geht.
Gleich im Vorhinein möchte ich mich schon einmal für die schlechte Qualität der Bilder entschuldigen. Da es bei den folgenden Reparaturen nicht gerade zimperlich zugeht, wollte ich meine Spiegelreflex nicht neben der Flex oder der Bohrmaschine liegen haben. Dafür habt ihr doch sicher Verständnis.
Aber jetzt schärfen wir unsere Bohrer und pusten den Staub vom Dremel. Es geht los. Erster Kandidat für einen Aufenthalt auf der Werkbank ist dieses silberne Fahrrad von Garelli. Ich hatte es vor gut zwei Jahren auf einem Flohmarkt entdeckt und konnte bei einem Preis von 30€ einfach nicht widerstehen. Ich habe eine leichte Abneigung gegen Mountainbikes (zu schwer, zu dicke Reifen, …) und bin eher ein Fan von Rennrädern, so dass ich dieses Exemplar unbedingt mitnehmen musste. Erster Eindruck: Gar nicht so schlecht! Die Shimano-Schaltung lief äußerst präzise, die Bremsen brachten noch akzeptable Leistung und so fuhr ich dieses Fahrrad als Alltag-Schlampe.
Allerdings blieb auch dieses Bike nicht von einer typischen Rennrad-Krankheit verschont: Kreischende und ächzende Quietschtöne beim Treten der Pedale. Und die waren manchmal sogar so laut, dass sich Passanten umdrehten und die Klingel so zum überflüssigen Accessoire wurden. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% lag die Ursache hier am Tretlager, welches zwischen den Pedalen sitzt. Und im Gegensatz zu einem platten Reifen ist das meistens das Todesurteil für ein Fahrrad. Oder Hand auf’s Herz: Wer von euch hat schon einmal ein solches Lager getauscht bzw. tauschen lassen? Eben …
In Ermangelung eines Typenschildes habe ich leider noch immer keine genaue Ahnung wie alt das silberne Rennrad wirklich ist. Bei Abbau der Pedale lässt sich das Rätsel so langsam lüften. Diese sind nämlich mit kleinen Keilen an der Achse befestigt. Eine Art die bis in die 80er Jahre noch sehr beliebt war und dann durch eine Vierkant-Achse verdrängt wurde. Statt einem Schraubenschlüssel braucht man hier nur einen Dorn (bei mir musste ein alter Imbusschlüssel herhalten) und einen Gummihammer zum Treiben. Zack, und runter ist die Kurbel. Zerlegen ist immer einfach.
… oder eben doch nicht. Laut den Infos, die ich im Internet gefunden hatte, wahren die meisten Lager mit Keilachse eingepresst. Dieses hier hatte an der Nicht-Antriebsseite aber eine Kontermutter, die wahrscheinlich zum Einstellen des Lagerspiels diente. Unnötig zu erwähnen, dass sich diese Mutter keinen Millimeter mehr bewegte. Ein kurzes Drehen an der Keilachse bestätigte meinen Verdacht: Das Lager war komplett hinüber und drehte sich nur noch widerwillig. Es gab also keinen Grund unnötig materialschonend zu arbeiten. Die Kontermutter durfte leiden.
Sorry für das verwackelte Bild. Aber es ist gar nicht so einfach, mit links zu fotografieren während man mit rechts den Dremel ruhig hält. Hier muss man vor allem darauf achten, die Lagerschale nicht unnötig mit der Trennscheibe zu berühren. Denn diese soll die Aktion ja möglichst unbeschädigt überleben. Und das lief sogar einfacher als gedacht.
Geschafft. Kaum war die Mutter zerlegt, sprang sie auch willig aus dem Gewinde. Doch wirklich gebracht hatte die Aktion nichts: Das Innenlager saß noch immer bombenfest in seinem Rohr. Da halfen auch keine gutgemeinten Schläge mit dem Gummihammer. Seltsam … dabei sprachen meine Quellen eindeutig von einem eingepressten Glockenlager.
Nagut, der Dremel hatte sich ja gerade erst warmgelaufen und das Tretlager war sowieso bereits über den Jordan. Jetzt spielten ein paar mehr Schnitte auch keine Rolle mehr. Also begann ich mich mit einer Trennscheibe auf der Antriebsseite durch das Lager zu fressen.
Im Hintergrund lässt sich übrigens schon mein nächstes „Opfer“ erkennen: Ein rotes Fahrrad, das ebenfalls aufgrund eines Weh-Wehchens den Weg zu mir gefunden hat. Soviel sei schon einmal verraten: Dieses Fahrrad hat weit aus mehr Probleme als nur nervende Quietsch-Geräusche.
Aber zurück zum silbernen Bike: Ein durchaus angenehmer Nebeneffekt meiner Dremel-Aktion ist neben der vollständigen Zerstörung des Lagers eine ordentliche Hitzentwicklung. Diese kann äußerst produktiv sein. So entschied sich auf einmal das Gewinde der Nicht-Antriebsseite dazu, mir entgegen zu fallen. Noch eingebaut kann man übrigens gut die Kugeln des Kugellagers erkennen.
Mooooment?! Gewinde?!
Meine Quellen sprachen doch aber eindeutig von einem eingepressten Lager. Sofort unterbrach ich meine Schneid-Aktion für eine Recherche im Internet. Und tatsächlich fand ich eine Seite, die das Rätsel löste. Dort erwähnt wurden Keiltretlager mit dem noch heute state-of-the-art BSA-Gewinde, die bis zum Ende der 60er Jahre (!) an Rennrädern verbaut wurden. Hoppla, da habe ich ja ein richtig rustikales Fahrrad auf dem Filetiertisch. Ab diesem Zeitpunkt wunderte ich mich auch nicht mehr über nicht-lösbare Schraubverbindungen. Dieses Fahrrad hat mehr als 40 Jahre auf dem Buckel. Nach einer solchen Zeitspanne ist es völlig normal, dass so manche Verbindung völlig festgegammelt ist.
Immerhin ließ sich nach freiwilligem Abgang der linken Lagerschale nun auch die Achse raushämmern. Die letzte Bastion des Widerstandes blieb somit die rechte Lagerschale. Und die hatte wirklich schon einiges abbekommen.
Immer wieder hoffte ich, dass auch sie irgendwann einfach aufgeben würde. Doch es half nichts. Stattdessen rutschte ich beim x-ten Versuch mit einer Zange ab und quetschte mir fast zwei Finger. Ok, dieses Drecksteil wollte einfach komplett zerstört werden. Deswegen entschied ich mich dazu, den Konus von innen in Richtung Gewinde mit dem Dremel zu bearbeiten. Hier musste ich ungeheuer vorsichtig sein, um nicht das BSA-Gewinde im Rohr selber unnötig leiden zu lassen.
Jawoll, so funktionierte der Plan. Kurze Zeit später zersprang das Teil und ließ sich widerwillig herausdrehen. Ein prüfender Blick zeigte mir, dass ich die Gewindegänge leider doch erwischt hatte. Allerdings sollte das nicht allzu schlimm sein, ein neues Ersatzteil wird meiner Meinung nach trotzdem halten.
Und hier noch einmal der widerspenstige Kollege im Überblick. Gut zu erkennen sind auch die Kugeln des Kugellagers, von denen einige meine Aktion nicht wirklich überlebten. Ist aber auch völlig egal, denn dieser ganze Haufen ist ein Fall für die Mülltonne.
Dummerweise muss ich mich jetzt auf eine schwierige Suche begeben: Die Ersatzteile aus den 60er Jahren sind leider nirgendwo mehr aufzutreiben. Eine Möglichkeit wäre es, ein neues Keillager zu besorgen und dieses ohne Rücksicht auf das Gewinde einzupressen. So könnte ich die alten Pedale und das alte Kettenblatt weiterverwenden. Allerdings ist die Befestigung mit Keilen nicht mehr wirklich zeitgemäß und die Tatsache des Innengewindes schreit eigentlich fast nach einer Lösung aus dem aktuellen Shimano-Regal. Allerdings müsste ich dafür komplett neue Kurbeln kaufen.
Zum Abschluss dieses ersten Aktionstages mal ein Bild vom Endergebnis.
Ja, ja. Zerlegen ist immer noch der einfachste Teil beim Reparieren.
Hi, Phil, Du solltest mit Dad zusammen einen Fahrradladen mit Reparatur eröffnen, Ihr beide habt dasselbe Hobby. Das liebäugelt schon lange damit. Wie geht es Dir Liebe Küssis Deine MOM
@Mom: Ein kleiner Fahrradladen? Na klar! Allerdings sollte er nicht unterschätzen wieviel Spezialwerkzeug man für Fahrräder braucht. Es passt so gut wie nirgendswo ein normaler Schraubenschlüssel. Jedenfalls garantiert niemals an der Stelle, an der man gerade etwas lösen möchte.
LG Phil
Boah also ne. Mein Mann hätte mit dem Post wohl seine Freude, ich selber hab mich sofort rausgeredet, dass ich das als Wirtschaftingenieur höchstens konstruieren oder berechnen könnte. ;-DDDDD Was kaputt ist, richtet der Mann. *prust*
(So, typisches Frauenklischee bedient, jetzt kann ich wieder gehen.)
Liebe Grüße
Christina
PS: 0L/100km glaubt ja wohl NIEMAND. Wieviel Bier/Wein/Schorle/… trinkst du den auf 100km Fahrradfahren?!?!? ;-)))
PPS: Kroatien ist super, Kroatien ist geil. Komm mich mal besuchen, dann zeig ichs dir. :-)
@Christina: Pah! In deinem Titel steht hinten das Wort -“ingenieur”. Und so etwas verpflichtet manchmal auch zum selber schrauben. Davor kennst du ja gerne noch ein paar Dinge konstruieren bzw. deine Erfolgsaussichten berechnen.
Mir scheint als wäre das Klischee “Ein schlechter E-Techniker ist immer noch ein guter Maschbauer” mal wieder bewiesen. ^^
LG Phil
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