Reisebericht Southampton #2.2 – Osborne House, Isle of Wight
Ein Besuch im Vereinigten Königreich: Selbstverständlich muss ich den entsprechenden Blogpost mit royalen Elementen versehen. Schließlich sind die Engländer – trotz Skandalen, hoher Kosten und keinem nennenswerten Output mit der Ausnahme von menschlichem Nachwuch – verrückt nach ihrem Königshaus.
Die heutige Episode widmet sich aber einer geschichtsträchtigen Epoche: Kein Landsitz wurde von Königin Viktoria so sehr geliebt wie das Osborne House auf der Isle of Wight.
Die als “Großmutter Europas” bekannt gewordene Monarchin war von 1837 bis 1901 die Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland und bewies schon damals eindrucksvoll, dass grundsätzlich alle Queens, anstrengender Regierungsgeschäfte zum Trotz, eine recht hohe Lebenserwartung haben.
Da man auch im 19. Jahrhundert manchmal dem Stress entfliehen musste, kaufte Sie zusammen mit ihrem Mann Prinz Albert im Jahr 1845 ein Grundstück auf der Insel. Natürlich mit Blick auf den Solent.
Den Stress als Monarchin während des nach ihr benannten Viktorianischen Zeitalters darf man sich übrigens etwas größer vorstellen als heute. Während Queen Elisabeth II. heute als repräsentatives und farbenfrohes Schmuckstück bei Paraden her halten darf, war Viktoria zu ihrer Zeit immerhin Herrscherin eines Fünftel der Landmasse der Erdoberfläche sowie eines Drittels der Weltbevölkerung.
Für mich ist es fast unvorstellbar, dass man sich mit dieser Bürde überhaupt ein Zurückziehen in eine Sommerresidenz leisten konnte. Tatsächlich aber verbrachte Viktoria viel Zeit im Osborne House. Sogar für ihren sich abzeichnenden Tod im Alter von 81 Jahren wählte sie dieses Haus aus.
Die Wahl fiel nicht ganz zufällig auf die Isle of Wight. In früher Kindheit hatte Viktoria bereits zweimal ihren Urlaub auf der südenglischen Insel verbracht. Das ursprüngliche Haus auf dem gekauften Grundstück wurde kurzerhand abgerissen und ein neuer Palast mit Blick auf das Meer gebaut.
Auch das Innere des Osborne House kann sich sehen lassen.
Bei der Inneneinrichtung wurde aus meiner Sicht weniger auf dem Geschmack geachtet, sondern in royaler Absicht Vollgas gegeben. Natürlich lässt sich über den Geschmack und Stil der damaligen Zeit vortrefflich streiten, allerdings darf man auch nicht vergessen, dass man mit der schieren Masse an kunstvollen Einrichtungsgegenständen und Wandverkleidungen potentielle Besucher anderer Länder nur vom eigenen Reichtum überzeugen und beeindrucken wollte.
Ein wenig hatte man sich beim Bau des gesamten Osborne House von der indischen Architektur beeinflussen lassen. Besonders deutlich (oder sagen wir besser: völlig unübersehbar) ist dies im Durbar Room.
Dieser Saal für Bankette wurde komplett nach indischem Vorbild mit originalen Elementen gebaut. Selbst der Teppich kommt aus Agra, der Stadt des Taj Mahals.
Das Besondere an diesem Raum ist seine originalgetreue Inszenierung. Nachdem das Osborne House im Jahr 1903 dem britischen Volk geschenkt wurde, konvertierte man die Räume nach und nach zu musealen Ausstellungsräumen. Als man in Archiven Fotos von einem Bankett im Durbar Room entdeckte, entschied man sich die Tafel inklusive der bereits aufgetafelten Vorspeise gemäß der Fotografien nachzubauen.
So unterscheidet sich der Raum heute auch dadurch von anderen Zimmern, dass er nicht blind mit tausend Antiquitäten vollgerammelt wurde, sondern einen Eindruck vom tatsächlichen Füllungsgrad eines Raums auf Osborne gibt. Mir persönlich gefällt so etwas viel besser.
Der zweite Stock des Gebäudes gibt dem Besucher noch einen Eindruck in die damalige Kindererziehung. Zur Zeit von Viktoria war es üblich, seinen Nachwuchs in einen anderen Teil des Gebäudes zu stecken. Das Zusammenleben als Familie war erstmal kein erklärtes Ziel. Ebenfalls diente dies nicht der Erholung, den die vielbeschäftigte Königin so nötig hatte.
Da die Königin sich in diesem Teil des Palastes eher selten blicken ließ, sind die Zimmer dort auch etwas schmuckloser ausgestattet.
Swiss Cottage, Osborne House
Apropos Kindererziehung: Prinz Albert, dessen deutsche Wurzeln im Vereinigten Königreich zuerst gar nicht gut ankamen, ließ sich ein Wohnhaus aus der Schweiz liefern, das eidgenössisch vor Ort zerlegt und im Vorgarten des Osborne House wieder aufgebaut wurde.
In diesem Swiss Cottage genannten Bau übernahm er persönlich einen Teil der Erziehung seiner Kinder, denen er zum Beispiel je eine Parzelle im Garten für den Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung stellte.
Diese Praktik hatte nur sekundär den Sinn, dem royalen Nachwuchs das Überleben mit ehrlicher Feldarbeit beizubringen. Neben dem Erlernen von Gartenarbeit kaufte Albert seinen Kindern die angebauten Früchte nach der Ernte ab, und soll ihnen so die Grundzüge der Ökonomie beigebracht haben.
Ein Landhaus am Meer wäre nur halb so erholsam, wenn nicht auch ein Strand dabei wäre. Genau deswegen verfügte das Osborne House über einen Privatstrand an der nördlichen Küste der Isle of Wight, welchen wir uns am Ende des Rundgangs auch unbedingt ansehen wollten.
Leider merkt ihr es sicher schon an den Fotos: Die Sonne wollte an diesem Tag einfach nicht mehr herauskommen. Deswegen kann ich leider kein typisches Badewetter zum Strand mitliefern. Der nächste Tag sollte aber deutlich besser werden: Statt Wolken war strahlender Sonnenschein gemeldet.
Da das Baden als Frau und insbesondere als Königin damals so eine ganz diffizile Sache war, griff man auf rollbare Badekabinen zurück. Die kutschenähnlichen Gefährte wurden an einem Seil ins Wasser gelassen, so dass man sie bequem als Badeplattform nutzen konnte.
Ein geschütztes Umziehen war so jederzeit im Inneren der wasserdichten Kabine möglich. An dieser Stelle muss ich natürlich erwähnen, dass züchtige Badebekleidung zur damaligen Zeit keinen Zentimeter blanker Haut freigeben durfte.
Am Horizont konnte man dann schon unser letztes Ziel für den heutigen Tag erkennen. Bei anbrechender Nacht wollten wir die Isle of Wight verlassen und mit Fähre in Richtung Portsmouth übersetzten. Dort würden wird dann am nächsten Tag noch ein wenig Stadt-Sightseeing unternehmen bevor es mit bmi wieder zurück nach München gehen würde.
Mit der Fähre von der Isle of Wight nach Portmouth
Mit dem Bus fuhren wir zuerst zum kleinen Hafen von Fishbourne, wo wir erneut auf die Wightlink Fähren trafen, die von hier ins wenige Kilometer entfernte Portsmouth übersetzten. Die mittlerweile untergehende Sonne ließ mich auf gute Fotos von der Einfahrt nach Portsmouth hoffen.
Die Lichtstimmung wurde mit jeder Minute besser und zeichnete einen herrlichen roten Streifen an den Horizont. Einzig bei den Temperaturen musste man als Fotograf ein paar Abstriche für gute Bilder machen. Nach dem Untergang der Sonne wurde es an Deck irgendwann so kalt, dass ich die Kamera auf der Rehling aufsetzten musste, um nicht jedes Foto mit zitternden Händen zu verwackeln.
Dank der gemächlichen Geschwindigkeit unserer Autofähre kam die Skyline von Portsmouth ganz langsam immer näher. Von weitem konnten wir aber schon das Ziel das morgigen Tages sehen: Der Emirates Spinnaker Tower, der in Form eines markanten Segels die Silhouette der Stadt unverwechselbar prägt.
Mit den folgenden Nachtfotos endete auch schon dieser Tag und ließ die Vorfreude auf den nächsten Tag steigen. Der Wetterbericht versprach uns den besten Tag der Reise: Kein Wölkchen sollte den Himmel trüben. Perfekte Voraussetzungen um den Spinnaker Tower zu erklimmen und die Stadt Portsmouth zu erkunden.
Nach der Geschichtsstunde dieses Artikels wird es auch morgen ein wenig historische Hintergrundinfos über diese Region geben. Nichts geringeres als die HMS Victory stand auf dem Programm. Genau das Schiff, auf welchem Lord Horatio Nelson im Moment seines größten Triumphes über die französische Seeflotte von einer Kugel tödlich getroffen wurde und verstarb. Aber mehr dazu später.
Weitere Reiseberichte
- Tag 1: Hinflug mit bmi regional von München
- Tag 2.1: Mit der Fähre zur Isle of Wight
- Tag 2.2: Osborne House, Isle of Wight
- Tag 3.1: HMS Victory & Historic Dockyard
- Tag 3.2: Spinnaker Tower & Gunwharf Quays
- Tag 3.3: Flug nach München mit bmi regional
Vielen Dank an bmi regional für die Einladung auf die Isle of Wight.
Hi Phil,
tolle Bilder aus dem Osbourne House. War die große Tafel zu Deko-
zwecken so üppig gedeckt?
Mir tun die Reinigungskräfte die dort durchwischen müssen wirklich
sehr leid. Die sind bestimmt ewig mit der Reinigung beschäftigt.
Beim ersten Blick auf die Stadt Portsmouth gefällt mir der Spinnaker
Tower wirklich sehr, solche Alt-Neu Panoramen sind absolut meins.
Bin gespannt was aus Portsmouth noch kommt.
LG Stefan
Genau so war’s. Hier hat man 1:1 ein echtes Bankett nachgemacht. Interessant ist übrigens, dass man sich – nach heutigem Maßstab unvorstellbar – nie mit seinem Gegenüber unterhalten hat, sondern stets nur mit der Person links oder rechts. Deswegen ist die Mitte des Tisches auch so überladend mit (Deko-)Essen gefüllt.
Das Personal dort, hat übrigens gesagt, dass Prince Charles öfters zu Gast ist. Eine Führerin hat sogar einmal nicht erkannt, da sie in Eile war und wollte seine Eintrittskarte kontrollieren. :)
Pingback: Reisebericht Portsmouth #3.1 – HMS Victory & Historic Dockyard