Reisebericht Portsmouth #3.1 – HMS Victory & Historic Dockyard
Und hier war er auch schon: Der letzte Tag unserer Reise in den Süden von England.
Nachdem wir am gestrigen Tag mit der Fähre von der Isle of Wight nach Portmouth gefahren waren, hatten wir uns gegen eine nächtliche Erkundungstour entschieden. Vielmehr wollten wir das angekündigte Sommerwetter am nächsten Tag genießen. Und so wachten wir morgens im Hotel bei strahlendem Sonnenschein auf und hatten diese Sicht aus dem Fenster:
Nach zwei Tagen mit bedrohlichem Himmel hielt uns nur wenig im Hotel und wir stürmten sofort nach draußen. Vor dem Frühstück machten Conny und ich uns auf ans Meer. Schließlich mussten wir befürchten, dass der englische Wettergott jede Sekunde wieder einen Nachschub an Wolken bringen könnte.
Um es vorweg zu nehmen: An diesem Tag sollte es absolut sonnig bleiben. Dennoch war die Idee des frühen Erkundungsgangs goldrichtig. Um diese Uhrzeit waren wir in Old Portsmouth fast allein. Im Hintergrund auf dem folgenden Bild ist der Square Tower zu erkennen: Ein Relikt aus dem Jahr 1494 und ein Teil der Hafenbefestigung. Später diente dieser Turm als Munitionslager.
Ihr werdet es in diesem Blogpost merken: Portsmouth ist seit Jahrhunderten fest in der Hand der Royal Navy. Über 50% der britischen Seeflotte sowie alle aktiven Flugzeugträger sind hier stationiert. Der Auslöser hierfür war hier König Heinrich VII., der im 15. Jahrhundert Portsmouth zum Royal Dockyard erklärte.
Im Zweiten Weltkrieg musste Portsmouth für seine Rolle als Flottenstützpunkt einen hohen Preis zahlen: Durch die Angriffe der Achsenmächte wurde ein Großteil der Innenstadt zerstört und nur zum Teil wieder aufgebaut. Wir mussten deswegen ein wenig suchen, um noch “originale” Bausubstanz zu finden.
HMS Victory in Portsmouth
Da die Stadt eine solche Bindung zur königlichen Flotte hat, mussten wir diesen Fakt einfach aufgreifen und machten uns nach einem kleinen Stadtrundgang auf zum Historic Dockyard. Ein großer Teil des militärischen Geländes ist für Besucher geöffnet und beherbergt ein ganz besonderes Exponat, das selbst dem ahnungslosesten Touristen etwas sagen dürfte. Schließlich ist Admiral Nelson nach diversen Piraten einer der bekanntesten Seehelden.
Im ältesten Trockendock des Stützpunktes wartete das legendäre Schiff von Admiral Nelson auf uns: Die HMS Victory. Dieses Schiff hat gleich eine doppelte tragische Bedeutung für die Geschichte Englands: Zum einen war dies das Flaggschiff in der Schlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805, als die britische Admiralität die französische Seeflotte überragend schlug, und für Jahrzehnte die Vormachtstellung der Briten auf den Meeren sicherte.
Zum anderen fand Nelson auch genau auf diesem Schiff den Tod, als er im Gewimmel der Gefechte von einer Kugel getroffen wurde. Schwer verletzt wurde er unter Deck gebracht und blieb gerade noch so lange am Leben, um den Ausgang der Schlacht mitzubekommen. Nachdem ihm der historische Sieg mitgeteilt wurde, starb er in den Armen von Thomas Hardy, dem Kapitän der HMS Victory.
Die meisten hölzernen Schlachtschiffe aus dieser Zeit hatten eine äußerst geringe Lebensdauer. Entweder wurden sie bei Gefechten so schwer beschädigt, dass sie sanken oder befanden sich in einem zerschossenen Zustand, dass sie nur noch als Ersatzteilspender für neue Schiffe dienten. Außerdem war die Zeit dieser segelnden Fregatten bald gezählt, als schnelle Antriebe und Stahlrümpfe in Mode kamen.
Dennoch überlebte die HMS Victory wegen ihrer bedeutenden Rolle für die britische Seefahrt. So diente sie über die Jahre nach der Schlacht von Trafalgar als Truppentransporter in der Ostsee, als Versorgungsschiff und später als unbedeutendes Hilfsschiff. 1903 wurde sie bei einer Kollision im Hafen von Portsmouth fast versenkt und anschließend bis 1928 als Museumsschiff wieder restauriert.
Doch auch als Museumsschiff blieben der HMS Victory kriegerische Handlungen nicht erspart. So wurde sie im Zweiten Weltkrieg von einer deutschen Fliegerbombe getroffen. Durch ihre Lage im Trockendock konnte das Schiff jedoch nicht sinken, so dass es repariert und in seinen ursprünglichen Zustand zur Zeit der Schlacht zurückversetzt werden konnte.
Die Restauration hielt sich auch deswegen in erträglichen Grenzen, da die Anzahl der Einrichtungsgegenstände auf dem Schiff mehr als überschaubar war. Schiffe wie die HMS Victory wurden gebaut um kurze und heftige Gefechte auf See aufzutragen. Auf dem Schiff arbeiteten bis zu 850 Mann – viel Platz für Möbel blieb selbst auf den oberen Decks nicht.
Die Schlafplätze der Besatzung waren simple Hängematten, die unter Deck zum einen wenig Platz wegnahmen, zum anderen gut vor der Seekrankheit schützen. Einzig der Kapitän besaß ein eigenes Bett in Form einer Holzkiste, die ähnlich einer Hängematte an der Decke aufgehangen war.
Netter Nebeneffekt: Beim Tod des Kapitänes hatte man so gleich einen zweckdienlichen Sarg zur Hand.
Selbstverständlich wurde auch das Arbeitszimmer von Admiral Nelson originalgetreu aufgebaut. Wichtig zu wissen: Nelson war nicht der Kapitän der HMS Victory, sondern Oberbefehlshaber der Mittelmeerflotte und hatte das Kommando über alle 27 britischen Schiffe, die in der Schlacht von Trafalgar auf britischer Seite teilnahmen. Die HMS Victory war lediglich sein Flaggschiff, und zog somit die meiste Feuerkraft des Gegners auf sich.
Eine Etage unterhalb Nelsons Kajüte sollte jeder Besucher unbedingt seinen Kopf einziehen. Steile Treppen und niedrige Decken sind nur ein paar der Gefahren, denen die Matrosen hier unten ausgesetzt waren. Die Kanonen standen auf Rollen um den enormen Rückstoß nach der Schussabgabe ausgleichen zu kennen.
Ebenfalls waren unter Deck 31 sogenannte Pulveraffen beschäftigt. Die Aufgabe der meist 10 bis 14-jährigen Jungen war der Transport von hochexplosiven Schwarzpulver aus den Munitionskammern zum Wiederbefüllen der Geschütze. Kein ungefährlicher Job, da verschüttetes Pulver sofort mit Wasser unschädlich gemacht werden musste. Ansonsten drohten schwere Explosionen unter Deck.
Ein nicht sehr rühmliches Kapitel ist mit Sicherheit die Krankenstation unter Deck. Wer in einem Gefecht verwundet wurde, konnte weit ab vom Festland nur auf die Geschicke des Schiffarztes hoffen. Diese neigten wegen der hohen Zahl an Verwundeten zu drastischen Maßnahmen: Zerschossene Gliedmaßen wurden oft kurzerhand ohne Narkose amputiert.
Die verletzte Person wurde dazu am Tisch festgebunden oder von einem Helfer fixiert. Nachdem die Haut und das Fleisch durchtrennt waren, zog ein weiterer Helfer diese mit einem Ruck zurück, so dass der Arzt den Knochen zersägen konnte. Diese Technik sollte dazu führen, dass der Knochenstumpf mit intaktem Fleisch verhüllt wurde, und so die Wunde schneller zuwachsen konnte.
Auch wenn die Überlebenschancen aufgrund der hygnenischen Bedingungen nicht die besten waren, gehen Statistiker davon aus, dass durch Amputationen viele Matrosen überlebten, die sonst an Blutvergiftungen oder Infektionen gestorben wären.
Zum Schluss der Tour kamen wir an den Ort, an dem Nelson an den Folgen seiner Schussverletzung starb. Nachdem ihm sein letzter Wunsch “Kiss me, Hardy” vom Kapitän des Schiffes Thomas Hardy erfüllt wurde, wurde Nelsons Leichnam in einem mit Branntwein gefülltes Fass konserviert und nach London überführt. Hier erhielt er ein vier Tage andauerndes Staatsbegräbnis in der St. Paul’s Cathedral.
Wer nach dieser Tour noch mehr Lust auf Seefahrt hat, der kann sich beispielweise die Mary Rose – ein in der Bucht gesunkenes und gehobenes Wrack aus dem Jahr 1545 anschauen. Alternativ gibt’s vom Deck der HMS Victory auch einen guten Blick auf Schiffe der modernen Flotte.
Ein weiteres Exponat in den Historic Dockyards ist die HMS Warrior. Sie wurde 1860 als das erste britische Schlachtschiff mit einem Rumpf aus Eisen gebaut. Sie war die Antwort auf das französisches Schiff La Gloire, die ein Jahr zuvor ebenfalls mit einem Rumpf aus Eisen vom Stapel lief. Um den Franzosen zu zeigen, wo der Hammer hängt, baute man die HMS Warrior um 60% größer als die La Gloire.
Für Conny und mich reichte diese Portion an britischer Seefahrtsgeschichte erst einmal, so dass wir uns an dieser Stelle von den Historic Dockyards verabschiedeten. Unser nächstes Ziel war der erst kürzlich umgebaute alte Hafen von Portsmouth, der mit einer Shopping Mall und einem hohen Turm als neuer Mittelpunkt der Stadt dienen sollte.
Mehr über unseren Besuch – inklusive Fotos von der Aussichtsplattform des Spinnaker Towers – seht ihr im nächsten Blogpost.
Weitere Reiseberichte
- Tag 1: Hinflug mit bmi regional von München
- Tag 2.1: Mit der Fähre zur Isle of Wight
- Tag 2.2: Osborne House, Isle of Wight
- Tag 3.1: HMS Victory & Historic Dockyard
- Tag 3.2: Spinnaker Tower & Gunwharf Quays
- Tag 3.3: Flug nach München mit bmi regional
Vielen Dank an bmi regional für die Einladung nach Portsmouth.
Ist ein gelungenes Zusammenspiel von Alt und Neu in Portsmouth.
Die Bilder aus dem Schiff echt beeindruckend, hier in Deutschland
wäre wahrscheinlich alles großräumig mit Seilen und Wegführung abge-
spannt.
Offensichtlich konnte man sich dort frei bewegen, oder? War denn das
OP-Besteck des “Schiffsarztes” noch Original oder Nachbildung?
Echt gruselig die Präsentation…
Also bei den Instrumenten könnte ich fast wetten, dass diese Original sind. Natürlich wurden die Klingen danach rot angemalt und es ein wenig authentischer zu machen. Gruselig ist gar kein Ausdruck. Wer damals als Patient auf diesen Tisch kam, der könnte schon mal mit dem Leben abschließen.
Ansonsten könnte man sich tatsächlich völlig frei auf dem Schiff bewegen. In Deutschland wäre das wahrscheinlich schon wegen der niedrigen Deckenhöhe unmöglich gewesen. Ex gab praktisch keine Ecke, an der ich mir nicht den Kopf stoßen konnte.
LG Phil
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